Acht Antworten zu Wölfen in Deutschland
Wie reagieren wir auf die natürliche Rückkehr des Wolfs?
NABU-Landesvorsitzender Stefan Schwill gibt hier Antworten auf acht häufig gestellte Fragen zum Wolf.
1. Sind Wölfe für den Menschen gefährlich?
Der Wolf hat eine natürliche Scheu vor dem Menschen. Bei 10.000 bis 20.000 Wölfen in Europa, ca. 40.000 Wölfen in Russland und 60.000 in Nordamerika kam es in den letzten 50 Jahren nur vereinzelt zu Todesfällen durch Wolfsangriffe. Die meisten davon sind auf Attacken tollwütiger Tiere zurückzuführen, und zwar fünf in Europa sowie vier dokumentierte in Russland. Da inzwischen große Teile Europas, darunter auch Deutschland, seit Jahren tollwutfrei sind, Frühwarnsysteme existieren und bei erneutem Auftreten der Krankheit sofort mit Immunisierungsmaßnahmen reagiert würde, tendiert die Gefahr einer Begegnung mit tollwütigen Tieren praktisch gegen Null.
Ähnlich verhält es sich bei Attacken durch gesunde Wölfe. In den letzten 50 Jahren wurden in Europa und Russland je vier tödliche Übergriffe durch nicht tollwütige Wölfe dokumentiert, aus Nordamerika ist kein einziger Fall bekannt.
Diese Zahlen entstammen einer internationalen Studie am Norwegian Institute for Nature Research aus dem Jahr 2002, mit der die wohl umfassendste Zusammenstellung dokumentierter Wolfsattacken in Europa erfolgte. Aus ihnen wird mehr als deutlich, dass der Wolf im Vergleich zu anderen Wildtieren, z.B. Wildschweinen und Hirschen, sowie noch deutlicher im Vergleich zu Haustieren wie Hunden keine Gefahr für den Menschen darstellt. Allein durch Hunde werden in Deutschland jährlich mehrere tausend Menschen verletzt und im langjährigen Mittel vier Menschen pro Jahr getötet. Und vom Menschen selbst verursachte Lebensrisiken sind noch einmal um ein Vielfaches höher. 2012 starben in Deutschland allein im Straßenverkehr mehr als 3.600 Menschen.
Seit Beginn der Rückkehr nach Deutschland und der ersten Rudelbildung im Jahr 2000 sind Beobachtungen von freilebenden Wölfen nach wie vor überaus selten – trotz strengem Schutz. Das zeigt, dass das Verhalten der Wölfe auch dort durch große Vorsicht und Scheu gegenüber dem Menschen gekennzeichnet ist, wo sie seit vielen Jahren vorkommen, ohne den Menschen als Gefahr kennen gelernt zu haben.
2. Was ist, wenn Wölfe lernen, dass vom Menschen keine Gefahr für sie ausgeht?
Wölfe sind in der Tat sehr gelehrig. Gerade dieser Umstand macht es dem Menschen relativ einfach, Wölfen unerwünschte Verhaltensweisen abzugewöhnen. So lassen sich Wölfe, die Schafe gerissen haben, diese vermeintlich leicht zu erbeutende Nahrungsquelle dauerhaft verleiden, indem sie z.B. durch den Einsatz von Elektrozäunen die Erfahrung machen, dass Schafe mit Schmerz verbunden sind.
3. Wird der Wolf durch die NABU-Kampagne „Rotkäppchen lügt!“ verniedlicht?
Der NABU verniedlicht den Wolf nicht, sondern klärt die Öffentlichkeit über eine wiederkehrende Tierart auf. Der Wolf meidet den direkten Kontakt mit dem Menschen nach wie vor, ansonsten gelängen in den zum Teil seit mehr als zehn Jahren etablierten Wolfsgebieten in Deutschland wie auch in angrenzenden Ländern Wolfsbeobachtungen sehr viel häufiger. Allerdings sind Anpassungsmaßnahmen im Bereich der Freilandtierhaltung erforderlich, diese stehen daher auch im Fokus der Aufklärungsarbeit des NABU. Ein zweiter zentraler Aspekt liegt darin, über die Lebensweise der Wölfe zu informieren.
4. Wer sind die Wolfsbotschafter des NABU?
Der NABU als Ehrenamtsverband lädt alle Menschen, die den Wolf in Deutschland willkommen heißen, ein, aktiv an der Öffentlichkeitsarbeit mitzuwirken. Hierzu wurde das NABU-Wolfsbotschafter-Netzwerk ins Leben gerufen, in dem sich inzwischen bundesweit mehr als 300 NABU-Mitglieder in besonderer Weise für den Wolf engagieren. Die persönlichen und beruflichen Ausgangssituationen dieser Menschen sind völlig verschieden: Neben Biologen und Ökologen arbeiten in diesem Netzwerk auch Menschen ohne beruflichen Naturschutzhintergrund mit.
Neben regelmäßigen Qualifizierungen, z.B. im Rahmen jährlicher Tagungen in Kooperation mit wissenschaftlichen Einrichtungen wie dem Senckenberg-Museum in Görlitz, erfolgt eine enge Zusammenarbeit zwischen den Ehrenamtlichen und den hauptamtlichen Wolfsexperten des NABU.
Hauptaufgabe der Wolfsbotschafter ist es, als dezentrale Ansprechpartner Fragen zu Wölfen zu beantworten oder an die hauptamtlichen Experten weiterzuleiten, Vorträge und Informationsveranstaltungen zu organisieren und als Bindeglied zwischen der Öffentlichkeit und staatlichen Wolfsexperten oder behördlich eingesetzten Wolfsgutachtern zu fungieren.
5. Inwiefern geht es beim Wolf wirklich um den Schutz und Erhalt von Natur?
Es geht vor allem um die Frage, wie wir Menschen grundsätzlich mit Natur umgehen, wie wir auf die natürliche Rückkehr von Arten, wie Wolf, Elch oder Kegelrobbe reagieren, die mitunter Anpassungen bei Land-, Forst- oder Fischereiwirtschaft erfordern. Sind wir im 21. Jahrhundert weiter als vor 150 Jahren, als die Wölfe in Deutschland ausgerottet wurden, und finden wir andere Wege im Umgang mit solchen Arten, als die vermeintlich einfachste Lösung – die erneute, regionale Ausrottung? Der NABU sieht sich hier als wichtigen Anwalt der Natur.
6. Wo können Wölfe in Deutschland leben?
Der Wolf selbst hat den Beweis erbracht, dass er auch in Deutschland hervorragende Lebensbedingungen vorfindet. Denn er ist ohne aktives Zutun des Menschen in Gebiete zurückgekehrt, in denen er in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausgerottet wurde. Warum kehrt er zurück? Weil der Mensch ihn lässt! Nahrung ist im Überfluss vorhanden – selten in der Vergangenheit gab es so viele Rehe, Wildschweine und Hirsche wie heute. Überall in Europa zeigt sich zudem, dass der Wolf keineswegs an ursprüngliche Wildnis gebunden ist. Er arrangiert sich ebenso mit Kulturlandschaften, in denen er Rückzugsräume findet. In Deutschland sind das neben Truppenübungsplätzen vor allem Gebiete mit hohen Waldanteilen.
7. Wird sich durch wandernde Wölfe aus Tollwutgebieten auch in Deutschland die Tollwut wieder ausbreiten?
In der Tat sind Wanderungen einzelner Wölfe über weite Strecken nachgewiesen – wie auch bei anderen potenziellen Tollwutüberträgern. Diese Wanderungen aus dem Osten nach Deutschland finden seit vielen Jahrzehnten statt – also auch vor der Etablierung fester Wolfsvorkommen in Deutschland. Sie sind kein neues Phänomen. Und dennoch ist Deutschland seit vielen Jahren tollwutfrei. Deutlich verstärken könnten sich künftig allenfalls Wanderungen aus dem weitgehend tollwutfreien Mitteleuropa Richtung Osten.
Für die Frage, ob sich Tollwut in Deutschland wieder etablieren kann oder nicht, sind diese Wanderungen einzelner Tiere jedoch nicht der entscheidende Faktor. Entscheidend ist, ob es bei uns und auf dem Weg zu uns eine potenzielle Infektionskette gibt. Durch die Immunisierung von Füchsen und anderen Fleischfressern über ausgebrachte Impfköder ist es gelungen, diese Infektionskette zu unterbrechen. Und bei Bedarf können derartige Immunisierungskampagnen jederzeit und sehr schnell wiederholt werden. Als Fleischfresser würden dann auch die Wölfe ausgebrachte Impfköder aufnehmen und damit immun gegen Tollwut werden. Somit ändert sich an der aktuellen Situation im Hinblick auf die Tollwut nichts Wesentliches.
8. Mit wie vielen Wölfen können wir in Deutschland rechnen?
2013 gab es in Deutschland 19 Wolfrudel. Hinzu kommen drei Paare und vier ortsfeste Einzeltiere. Mit einer weiteren Zunahme der Wölfe ist zu rechnen, inzwischen gibt es auch in Mecklenburg-Vorpommern in zwei Regionen mehrere Wölfe. Die mögliche Anzahl von Wölfen hängt in Deutschland wie auch in anderen Regionen der Erde in allererster Linie vom Nahrungsangebot ab. Dieses ist bei uns heute so reichhaltig wie selten zuvor. Aus einer Studie der Universität Freiburg aus dem Jahr 2009 geht hervor, dass bis zu 400 Wolfsfamilien in Deutschland leben könnten. Anhand der Lebensraumansprüche von Wölfen in Polen wurde analysiert, welche Gebiete in Deutschland für Wölfe geeignet erscheinen und wie viele Tiere dort vorkommen könnten. Neben den heute bereits besiedelten Regionen Nord- und Ostdeutschlands wurden vor allem die Mittelgebirgs-Regionen Süd- und Westdeutschlands sowie der Alpenraum als besonders geeignet identifiziert. Zurzeit liegt der Verbreitungsschwerpunkt der Wölfe in Deutschland nach wie vor im Bereich Südbrandenburg-Nordsachsen. Es handelt sich also um eine wissenschaftlich untermauerte hypothetische Aussage über die ökologische Tragekapazität für Wölfe in Deutschland, nicht jedoch um die Formulierung einer politischen Zielsetzung. Ob und wie schnell all diese Gebiete besiedelt werden, ist eine spannende Frage, die es zu verfolgen gilt.
Die Mitglieder des "Bündnis gegen den Wolf" sind sich einig: Der Wolf ist nicht erwünscht. Die Gründe für diese skeptische Einstellung gegenüber der natürlichen Rückkehr der Wölfe sind vor allem emotional geprägt. Viele Bündnis-Mitglieder sind Schäfer, die sich mit ihren Problemen allein gelassen fühlen. Mehr →