Störche im Sturzflug
Weißstörche im Landkreis Nordwestmecklenburg


Noch heute ist er ein Symbol für eine idyllische, naturnahe Kulturlandschaft. Viele Touristen und einheimische Naturfreunde schwärmen über den Storchenreichtum Mecklenburg-Vorpommerns. Und tatsächlich zählt unser Bundesland zu den Top fünf was die Brutpaare Adebars in Deutschland angeht. Allerdings gibt der Bestandstrend Anlass zur Sorge. Kaum eine Vogelart ist so gut untersucht wie der Weißstorch. Seit den 1930er Jahren werden die Brutbestände erfasst. Dabei leisten ehrenamtliche Naturschützer unbezahlbare Arbeit. Nach der Wende sammelte sich ein Großteil der bundesweit aktiven Storchenschützer unter dem Dach des Naturschutzbundes (NABU). Der Weißstorch wurde zum Wappenvogel des ältesten deutschen Naturschutzverbandes. Schon früh kam dem heutigen Nordwestmecklenburg eine besondere Rolle in der Storchenforschung zu. Am 21. Mai 1822 wurde bei Schloss Bothmer ein flugfähiger Storch geschossen. In seinem Hals steckte ein 80 cm langer Pfeil aus Ostafrika. Damit war der Beweis erbracht, dass unsere Störche im fernen Afrika überwintern. Eine Sensation zur damaligen Zeit!
Weißstorchpaare müssen durchschnittlich zwei Jungvögel pro Jahr großziehen, um den Bestand zu erhalten. Dies wurde landesweit 2008 zuletzt erreicht. Liegt der Wert darunter, können die Verlustraten nicht mehr ausgeglichen werden. Der Brutbestand sinkt ab.
Dieses Phänomen ist in MV zu beobachten. Jahrzehntelang galt die Brutpaarzahl als stabil, bei ca. 1.200 Brutpaaren. 2005 brach der Storchenbestand aufgrund von Zugereignissen plötzlich auf 834 Paare ein. In der Folgezeit schien sich der Bestand auf diesem Niveau zu stabilisieren. 2015 sank der Wert weiter auf 792 Paare. 2016 ging der Absturz weiter auf nur noch 721 Brutpaare.
Der bundesweite Weißstorch-Brutbestand erholt sich hingegen. Er befindet sich wieder auf dem Stand der 1950er Jahre. Als Grund dafür wird vor allem ein Zuzug aus Regionen mit höherem Bruterfolg gesehen. MV ist das einzige Bundesland, dessen Bestand sich weiter im Tief befindet. In der Roten Liste der Brutvögel Mecklenburg-Vorpommerns (2014) wurde der Weißstorch daher von Kategorie 3 „gefährdet“ in die Kategorie 2 als „stark gefährdet“ hochgestuft.
Landkreis NWM mit besonders schlechten Werten

Nach der Ernte ist die Zeit des Hungerns vorbei. Störche suchen auf umgebrochenem Acker nach Nahrung - Foto: Peter Hannemann
Der Landkreis Nordwestmecklenburg steht besonders schlecht dar. Hier findet man landesweit die geringste Storchendichte (2016 nur 1,3 Paare auf 100 km²). Vor zwanzig Jahren lag der Wert in NWM noch bei 4,6 Paaren. Der Brutbestand ist in dieser Zeit von 95 auf 27 Brutpaare abgesunken. Das entspricht einem Rückgang von 72% in nur zwei Jahrzehnten! In diesen Jahren wurde nur zweimal der bestandserhaltene Wert von mindestens zwei flüggen Jungstörchen pro Brutpaar erreicht (2001 und 2004).
Wie haben wir es geschafft, diesen anpassungsfähigen, anspruchslosen Kulturfolger in wenigen Jahren derart zu bedrängen, so dass er heute im Bestand stark gefährdet ist?
Die Verfügbarkeit der Nahrung ist der Schlüssel zum Bruterfolg. Weißstörche sind dabei auf keine bestimmte Nahrung spezialisiert. Sie fressen was gerade zu bekommen ist. Dazu gehören z.B. Regenwürmer, Mäuse, Maulwürfe, Insekten (v.a. Heuschrecken), Frösche, Fische, Schlangen und Aas. Gerade in der ersten Zeit nach dem Schlupf benötigen die jungen Weißstörche leicht verdauliche Nahrung. Der Nahrungsbedarf ist für einen so großen Vogel naturgemäß hoch. Erwachsene Weißstörche brauchen täglich etwa 500g Nahrung. Jungstörche vertilgen in der ersten Lebenswoche täglich die Hälfte ihres Körpergewichtes. Ein Brutpaar mit 5 Jungen muss täglich etwa 4,0 kg Nahrung fangen. Legt man einen Regenwurm auf die Waage, so weiß man diesen Wert einzuschätzen.
Keine Nahrung zur Zeit der Jungenaufzucht
Diesen hohen Nahrungsbedarf können Weißstörche in der modernen industriell überformten Agrarlandschaft offensichtlich nicht mehr decken. Zu viele ehemalige Feuchtwiesen wurden entwässert. Das verbliebene Grünland wird zu intensiv genutzt. Ackerrandstreifen und Hecken findet man selten und wenn sind diese klein und artenarm. Die Felder werden durch starke Düngung und den Einsatz von immer perfekteren Pestiziden zu reinen Produktionsstätten der jeweils gewünschten Feldfrucht. Der jahrhundertealte Lebensraum Feldflur bekommt so zunehmend den Charakter steriler Fabrikhallen.
Darunter leiden nicht nur die Störche. Da kaum noch Wildkräuter blühen, gibt es immer weniger Insekten. Diese fehlen wiederum den Feld- und Wiesenvögeln als Nahrung. Gerade zur Jungenaufzucht sind die Vögel auf die ergiebige Insektennahrung angewiesen. So wird nicht nur der Weißstorch selten. Auch eigentlich häufige Arten wie Feldlerche, Kiebitz und Rebhuhn verschwinden aus der Landschaft. Als Langstreckenzieher ist der Weißstorch auf seinem Zug und in den Überwinterungsgebieten zusätzlichen Gefahren ausgesetzt. Dazu gehören neben Abschüssen z.B. die Ausdehnung der Sahelzone durch Dürre sowie Nahrungsmangel durch die massenhafte Vernichtung von Insekten (Heuschrecken). Auch die Kollision mit Freileitungen ist immer noch ein Problem.
Jeder kann zum Schutz des Weißstorches und der Artenvielfalt in NWM beitragen, indem ein höherer Anteil an (regionalen) Bioprodukten gekauft wird. Wer den Storch auf der Wiese sehen will, muss auch einmal die Biomilch oder –butter in den Einkaufswagen legen. Zusätzlich ist die Politik gefordert. Sie muss die Weichen so stellen, dass der Artenschwund in unserer Landschaft endlich gestoppt wird.
weitere informationen
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