Artenschutzkonflikte bei Windkraftplanung vorprogrammiert
NABU lehnt Entwurf zur Fortschreibung des regionalen Raumentwicklungsprogramms für Vorpommern in vorgelegter Form ab
27. November 2024 – Der NABU hat in seiner Stellungnahme zum Entwurf der Gesamtfortschreibung des Regionalen Raumentwicklungsprogrammes Vorpommern insbesondere die fehlende Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung für die vorgelegte Planung kritisiert. Laut Raumordnungsgesetz ist bei der Aufstellung von Raumordnungsplänen eine Umweltprüfung durchzuführen, in der die voraussichtlichen erheblichen Auswirkungen des Raumordnungsplans u. a. auf Menschen, einschließlich der menschlichen Gesundheit sowie Tiere, Pflanzen, die biologische Vielfalt, Klima und Landschaft zu ermitteln und zu bewerten sind. „Eine solche Umweltprüfung fehlt für den vorgestellten Entwurf und wir fordern, diese Prüfung unverzüglich durchzuführen“, sagt NABU-Landesgeschäftsführerin Dr. Rica Münchberger.
„Diese Forderung erheben wir deshalb sehr eindrücklich, weil von den geplanten 155 Vorranggebieten für Windenergie nahezu 85 % Konfliktpotential bergen und deren Festlegung gegen die Ausschlusskriterien für Windenergiegebiete an Land verstoßen“, so Münchberger weiter. „Dieser leichtfertige Umgang mit den Ausschlusskriterien aus dem Planungserlass ist besonders folgenschwer, da durch die eingeführten Verfahrenserleichterungen im Rahmen des Gesetzes zur Erhöhung und Beschleunigung des Ausbaus von Windenergieanlagen an Land für die Errichtung und den Betrieb solcher Anlagen auf Genehmigungsebene eine artenschutzrechtliche Prüfung des Vorhabens nicht mehr stattfindet. Die Berücksichtigung von Natur- und Artenschutz muss deshalb ausführlich und mit der gebotenen Sorgfalt bereits auf Planungsebene stattfinden.“ Genau dies lässt der vorgelegte Entwurf jedoch vermissen und verstößt darüber hinaus gegen die entsprechende Verwaltungsvorschrift des Landes, wodurch einem Verstoß gegen das Tötungs- und Verletzungsverbotes aus §44 BNatSchG Vorschub geleistet wird.
Allein 56 der 155 geplanten Windeignungsgebiete liegen vollständig oder mit Teilbereichen in Zonen überwiegend hoher bis sehr hoher Vogelzugdichte. Es betrifft somit mehr als ein Drittel der geplanten Windeignungsgebiete. 21 Windeignungsgebiete werden in Rastgebieten mit sehr hoher Bedeutung geplant. Auf eine Reihe der Windeignungsgebiete treffen beide Kriterien zu. „Ein Verstoß gegen das artenschutzrechtliche Tötungsverbot ist bei Bebauung in diesen Bereichen nahezu vorprogrammiert“, so Rica Münchberger. „Über unser Bundesland zieht jedes Jahr im Frühling und Herbst nahezu das vollständige Arteninventar an Zugvögeln mit Winterquartieren im atlantischen Raum aus Südfinnland, dem Baltikum und Nordwest-Russland. Ein großer Teil der skandinavischen Vögel mit Überwinterungsgebieten im mediterranen oder atlantischen Raum zieht ebenfalls durch Mecklenburg-Vorpommern. Damit hat das Land eine hohe nationale und vor allem auch internationale Verantwortung für den Schutz ziehender und rastender Vogelarten.“
Schutzbereiche des Schreiadlers und anderer Greifvögel in Gefahr
Gleiches gilt für kollisionsgefährdete Brutvogelarten, allen voran dem vom Aussterben bedrohten Schreiadler, der in Mecklenburg-Vorpommern eines seiner letzten Refugien besitzt. „Bei mehreren Windeignungsgebieten werden essenzielle Nahrungsflächen gleich mehrerer Brutpaare beeinträchtigt“, so Münchberger. In 24 der geplanten 155 Windeignungsgebiete wird gegen die festgelegten Schutzbereiche gleich mehrerer Brutvogelarten aus dem Anhang I BNatSchG verstoßen, neben dem Schreiadler auch Rotmilan, Schwarzmilan, Baum- und Wanderfalken, Fisch- und Seeadler sowie Wespenbussard und Rohrweihe. Auch der ohnehin in Mecklenburg-Vorpommern in seinem Bestand zurückgehende Weißstorch ist betroffen. 38 geplante Windeignungsgebiete beeinflussen direkt Horststandorte oder Dauergrünland als essentielle Nahrungsfläche für die Störche. „Es ist laut Planung kein Einzelfall, dass ein Storchenpaar gleich von mehreren Windeignungsgebieten beeinträchtigt wird. Unter diesen Bedingungen ist eine nötige Bestandserholung schwer vorstellbar“, so NABU-Landesgeschäftsführerin Dr. Rica Münchberger.
Hinzu kommt, dass durch die Überplanung von Mooren sowohl das Klimaschutz- als auch das Moorschutzkonzept des Landes konterkariert wird. „In nicht weniger als 54 Windeignungsgebieten ist die Errichtung von Windrädern auf tiefgründigen Mooren vorgesehen, welche jedoch laut Planungserlass des Landes besonders geschützt und von einer Bebauung mit Windenregieanlagen freizuhalten sind.“ Auch sollen nach dem vorgelegten Entwurf bestehende Lenkungsflächen, die als Ablenkung von kollisionsgefährdeten Tierarten von Windenergieanlagen angelegt worden sind, überplant werden. „Solche Flächen zu bebauen, ist aufgrund ihrer artenschutzrechtlichen Funktion nicht zulässig“, sagt Dr. Münchberger. „Eine Inanspruchnahme der unmittelbaren Umgebung von Lenkungsflächen zerstört deren Funktion. Eine Bebauung dieser Flächen ist auch deshalb nicht möglich, da der Betrieb der genehmigten Windenergieanlagen, für die sie festgesetzt wurden, in Ermangelung der Ablenkwirkung rechtswidrig würde und somit bereits genehmigte Windenergieanlagen gegen das artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungsverbot verstießen.“
All diese Punkte weisen auf erhebliche Widersprüche und Verstöße gegen geltendes Natur- und Artenschutzrecht hin und lassen für den NABU nur eine Ablehnung des vorgelegten Entwurfs zu.
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